Aus der Wörtersammlung: mann

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+1 (212) 439–5XXX

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echo : 5.26 — Kurz nach Mit­ter­nacht euro­päi­scher Zeit führ­te ich ein Gespräch mit Herrn Hiko Aoi, des­sen Tele­fon­num­mer ich nicht bekannt geben darf, weil er andern­falls jede wei­te­re Unter­re­dung mit mir für immer ver­mei­den wür­de. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis im Haus 818, Lex­ing­ton Ave­nue, mein Anruf ent­ge­gen­ge­nom­men wur­de. Eine ver­zerrt klin­gen­de Stim­me mel­de­te sich, es war die Stim­me einer Frau, die sich erkun­dig­te, wer ich sei und was ich von Herrn Aoi wis­sen wol­le. Ich gab mei­nen Namen zu Pro­to­koll, wei­ter­hin, dass ich drin­gend eine Fra­ge an Herrn Aoi rich­ten müs­se, deren Beant­wor­tung für mich drin­gend sei, und zwar noch in die­ser Nacht. Ich ahn­te, dass ich zunächst lan­ge war­ten wür­de, es han­delt sich bei Herrn Aoi um einen hoch­be­tag­ten Mann, der sich sehr vor­sich­tig durch sei­ne Woh­nung bewegt. Wie er sich dem Tele­fon­ap­pa­rat näher­te, hör­te ich sei­nen Atem, ein feuch­tes, ras­seln­des Geräusch, um mich dann freund­lich zu begrü­ßen. Ich stell­te mir vor, dass er viel­leicht lächel­te. Was gibt’s, Lou­is? frag­te er. Ich erkun­dig­te mich zunächst nach dem Wet­ter: Wie ist das Wet­ter bei Euch drü­ben? Nun, las­sen wir das, ich erklär­te, dass ich eine Fra­ge haben wür­de, eine quä­len­de Fra­ge, dass ich näm­lich drin­gend in Erfah­rung brin­gen müs­se, ob er, Mr. Hiko Aoi, sich für Flie­gen­tie­re inter­es­sie­re, für die Art und Wei­se wie sie sich durch die Luft bewe­gen, wie sie lan­den, und wie sie schla­fen. Ist es denk­bar, dass Sie sich viel­leicht für flie­gen­de Tie­re erwär­men könn­ten? Herr Aoi lach­te. Ich hör­te ihn tat­säch­lich lachen, ein gleich­falls feuch­tes, heu­len­des Geräusch. Der alte Mann bat mich um die Mög­lich­keit eines Rück­ru­fes. Ich war­te­te drei Stun­den, mach­te nichts in die­ser Zeit als ein­mal einen Kopf­stand. Gegen vier Uhr mit­tel­eu­ro­päi­scher Zeit klin­gel­te das Tele­fon. — stop

polaroidlesende

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mr. ganga datt padong

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echo : 5.15 — Nicht zum ers­ten Mal stell­te ich mir eine Minu­te vor, dann eine Stun­de, dann einen Tag. Ich stand auf und ging von Zim­mer zu Zim­mer. Ich aß eine Bana­ne, sah aus dem Fens­ter, set­ze mich an den Schreib­tisch und stell­te mir eine Woche vor, dann einen Monat, dann ein Jahr. Und wie­der sah ich aus dem Fens­ter, ver­ließ das Haus, spa­zier­te, kam zurück und mach­te einen Plan. Ich mach­te ihn gründ­lich, ich for­mu­lier­te die alt­be­kann­te Fra­ge, ob es wohl mög­lich ist, einen Zeit­raum von 5022 Jah­ren zu den­ken, das heißt, ein Gefühl zu fin­den für eine bibli­sche Zeit­di­men­si­on? Bald war Abend, bald war Nacht gewor­den und ich habe mich mit der Suche und Erfin­dung von Namen ver­gnügt. Wenn ich aus dem Fens­ter schaue, die Kro­nen der Bäu­me unter mir, in wel­chen Vögel schla­fen, fal­len mir tat­säch­lich sehr schö­ne Namen ein, Namen, die es ver­dien­ten, dass man die Geschich­ten, die hin­ter ihnen ste­hen, auf­spü­ren wird. Über­haupt sind Namen, genau genom­men, die Geräu­sche, die sie im Kopf erzeu­gen, gut dazu geeig­net, erzähl­ba­re Räu­me zu öff­nen. Einer der heu­te Nacht gefun­de­nen Namen lau­tet so: Mr. Ganga Datt Padong. Ich bemerk­te, dass ein Mann, der die­sen Namen tat­säch­lich trägt, sich ein­mal bei mir mel­den könn­te. Er schreibt: Mr. Lou­is, ich habe in die Such­ma­schi­ne geschaut. Woher ken­nen Sie mei­nen Namen? Ich ant­wor­te: Ver­ehr­ter Mr. Padong, ich habe Sie und ihren Namen erfun­den, könn­ten wir viel­leicht Freun­de wer­den? — Fol­gen­de Namen sind wei­ter­hin ver­zeich­net: Han­nah Pie­pen Pal­le Peter­son Pete Mai­do Franz Dant­zer Swet­la­na Anti­bes Julie P. Gol­ding Emil Dimit­rov Zine Hamm­dai Max Bus­ser Mer­go­zi­le Bier­manns Sophia Wie­sel­ha­gen Sarah Loui­sa Emmer Vero­ni­ka Pig­mat­ter Bas­heer Zeid Chris­tie Lee Ewe­li­na Zen­c­zak Miria Iri­na Save­do Sam Kek­ko­la Hoah Phat Cynet­te Krom­bou­te Laris­sa Todic Linea Apo Ludu Hil­mer Lil­li Marie Lorenz. — stop

 ping

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handtasche rot

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sier­ra : 6.35 — Im Haus, in dem ich manch­mal woh­ne, exis­tier­te vor lan­ger Zeit eine alte Frau. Sie war so alt gewor­den, dass sie von Näch­ten erzäh­len konn­te, die sie im Kel­ler des­sel­ben Hau­ses ver­bracht hat­te, weil Bom­ben vom Him­mel fie­len. Damals, als der Krieg ende­te, muss sie eine jun­ge Frau gewe­sen sein, sie hei­ra­te­te, gebar fünf Kin­der, wur­de geschie­den. Ihr Mann und ihre Kin­der waren längst gestor­ben, bis auf einen Sohn, der in ihrem Leben zuletzt kaum noch eine Rol­le spiel­te, ihr ein­zi­ger Enkel hat­te sie aus­ge­raubt, sie war eine wirk­li­che ein­sa­me Per­son. Jedes Jahr zu Sil­ves­ter stell­te sie klei­ne Mar­mor­ku­chen vor die Woh­nungs­tü­ren ihrer Nach­barn wie zur Erin­ne­rung, dass sie noch leb­te. Ich erin­ne­re mich gut, der Kuchen schmeck­te nach Nel­ken. Weni­ge Mona­te vor ihrem Tod kauf­te sie noch drei Kat­zen und ver­ur­sach­te einen Was­ser­scha­den. Von die­sem Zeit­punkt an wur­de offen über ihren Geis­tes­zu­stand gespro­chen, man fürch­te­te, mit der alten Frau in die Luft zu flie­gen, weil sie mit Gas koch­te und mit Koh­len heiz­te. Noch heu­te scheint der Kel­ler nach der alten Frau zu rie­chen, nach Öl und nach Eier­bri­ketts. Ges­tern nun habe ich mich wie­der ein­mal an die alte Frau erin­nert. Ich war bei einem jun­gen Mann ein­ge­la­den, in des­sen Wohn­zim­mer auf einem Gestell von Holz eine schwe­re Stahl­tür ruh­te. Die­se Tür hat­te sich bis vor Kur­zem noch im Kel­ler auf­ge­hal­ten. Es war die Tür zum Luft­schutz­bun­ker. In der Mit­te der Tür befand sich ein Spi­on von gepan­zer­tem Glas, ein win­zi­ges Auge, durch das die Frau, von der ich erzähl­te, als Mäd­chen noch gese­hen haben könn­te. Immer wie­der an die­sem Abend betrach­te­te ich jenes selt­sa­me Auge in der Tür, das gegen die Zim­mer­de­cke schau­te. – Sams­tag, kurz nach 3 Uhr. Es reg­net, die Luft ist hell vom Was­ser. Gera­de eben habe ich nach einem Text gesucht, den ich notier­te an dem Tag als die alte Frau gestor­ben war. Der Text ging so: Die alte Frau mit der roten Hand­ta­sche ist tot. Wäh­rend des Tages irgend­wann muss sie im Hos­pi­tal gestor­ben sein. Jetzt, es ist ohne sie wie­der Abend gewor­den, ver­lässt ihr Fern­seh­ge­rät das Haus. Ein Hin und Her auf der Stra­ße, noch nie gese­he­ne, tief flie­gen­de Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampf­ge­räu­sche, auch zar­tes Geze­ter, Ver­wün­schun­gen, Emp­feh­lun­gen, hei­se­re Stim­men. Der Sohn ist da und der Sohn des Soh­nes, betrun­ken steht der blut­jun­ge Gei­er auf der Stra­ße her­um und regelt den Ver­kehr. Woh­nungs­auf­lö­sung. Nun, zu vor­ge­rück­ter Stun­de, hat sich mir das Wort erschlos­sen. Ein Pro­zess der Entro­pie, der Ver­wer­tung, des Ver­schwin­dens. Ich sehe die Ver­schwun­de­ne, eine 89-jäh­ri­ge Frau in bun­ter Klei­dung, Steh­lam­pe in der Hand, das Haus ver­las­sen. Unlängst noch war sie unter­wegs gewe­sen. Sie hat­te bereits den Gang der Hoch­see­ma­tro­sen. Manch­mal ras­te­te sie im Schat­ten der Bäu­me. Sie ging spa­zie­ren, als mel­de sie sich an, Tag für Tag, und zurück. Nie­mand weiß genau wie lan­ge sie in der Gegend, die­sem Haus, die­ser Woh­nung leb­te, sie war schon da als Bom­ben fie­len, und noch immer, bis ges­tern, stolz, ein­sam und zu lang­sam für die rasen­de Stadt. Jawohl, sie war stolz gewe­sen, ließ sich nicht hel­fen, nie­mand durf­te ihr Milch oder den Sand für ihre Tie­re durch das Trep­pen­haus in die Woh­nung tra­gen. Manch­mal heul­te das Fern­seh­ge­rät durch die Wand. Jetzt ist es vor­bei, jetzt wer­den Mon­teu­re und Maler kom­men. Es ist vor­bei, auch für die Kat­zen. — stop

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mr. charles brown

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sier­ra : 6.28 — Mit­ten in der Nacht ent­de­cke ich, dass Charles Brown tat­säch­lich exis­tier­te. Er war Eng­län­der gewe­sen, sam­mel­te Uhren und trug die­se Uhren am eige­nen Kör­per. Nicht etwa eine Uhr nach der ande­ren Uhr, wie man mei­nen möch­te, viel­mehr eini­ge Uhren oder sehr vie­le Uhren zur glei­chen Zeit. Ich bin natür­lich äußerst begeis­tert, öff­ne zunächst das Fens­ter, lass fri­sche Luft in die Woh­nung, keh­re vor den Bild­schirm zurück, er ist immer doch da, Mr. Charles Brown oder ein Mann, der vor­gab, Mr. Charles Brown gewe­sen zu sein, ein Mann, der Uhren sam­mel­te, der Uhren beob­ach­te­te. Er soll Uhren an sei­nen Fin­gern getra­gen haben, Uhren am Revers, Uhren in der Gestalt von Man­schet­ten­knöp­fen. Ich stel­le mir vor, dass ein fei­nes Zeit­rau­schen von ihm aus­ge­gan­gen sein muss. Ist es nicht wun­der­bar, stun­den­lang an ein Geräusch wie die­ses Rau­schen der Zeit zu den­ken? — 3 Uhr und 10 Minu­ten. Ich habe heu­te nichts wei­ter zu tun, als wach zu blei­ben, bis es hell wer­den wird. — stop / ps. Bemerkt zunächst bei Peter Glaser

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miranda

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india : 5.45 — Bei leich­tem Regen ges­tern im Park einen älte­ren Herrn beob­ach­tet. Er arbei­te­te an einem Buch, das ich zunächst nicht bemerk­te, weil der Herr auf einer Bank saß im Schat­ten eines Regen­schir­mes. Als ich neben ihm Platz genom­men hat­te, konn­te ich erken­nen, wie der Mann tat­säch­lich Zei­chen in einem Buch notier­te, das nicht grö­ßer gewe­sen war als eine Streich­holz­schach­tel. Neben ihm lag ein wei­te­res Buch, Phil­ip Roths Roman Ever­y­man. Der Mann schien das eine Buch hand­schrift­lich in das ande­re Buch zu über­tra­gen. Er notier­te mit einem Blei­stift, den er nach jedem geschrie­be­nen Zei­chen spitz­te. Rot­kehl­chen hüpf­ten zu sei­nen Füßen her­um, pick­ten das leich­te, hauch­dün­ne Holz, das aus der Spitz­ma­schi­ne fiel, vom Boden und tru­gen es fort ins nahe Unter­holz. Ein Ver­grö­ße­rungs­glas, eine Lupe, klemm­te im lin­ken Auge des Herrn, des­halb ver­mut­lich mach­te er den Ein­druck, Schmer­zen zu haben. Manch­mal biss er sich auf die Zun­ge. Wenn ich mich nicht irre, dann hat­te der Mann bereits etwa 100 Sei­ten des Roma­nes trans­fe­riert. Ich sah ihm bald eine Stun­de zu, ohne ein Wort mit ihm zu wech­seln. Fried­lichs­te Stim­mung. Auf dem See drau­ßen hüpf­ten Karp­fen aus dem Was­ser, schwe­re Kör­per. Ein paar Amei­sen trie­ben auf einem Blatt an uns vor­bei. Ich hät­te mich ger­ne unter­hal­ten, weil mir in den ver­gan­ge­nen Tagen unheim­lich zumu­te gewe­sen ist, wäh­rend ich Fern­seh­bil­der aus der Stadt Bos­ton beob­ach­te­te. Der alte, schrei­ben­de Mann aber war so ver­tieft in sei­ne Arbeit, dass er mei­ne Gegen­wart schnell ver­ges­sen zu haben schien. Ich stell­te mir vor, dass er in die­ser Arbeit gefan­gen oder gebor­gen, viel­leicht über­haupt nicht wahr­ge­nom­men hat­te, was in Bos­ton gesche­hen war. Viel­leicht wuss­te er nicht ein­mal vom Krieg in Syri­en oder von der Ent­de­ckung des Higgs-Teil­chens. Als es dun­kel wur­de, setz­te sich der alte Mann eine Stirn­lam­pe auf den Kopf. Für einen Moment leuch­te­te er mir ins Gesicht, um sofort in sei­ner Arbeit fort­zu­fah­ren. — stop

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paris

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sier­ra : 5.25 — In der Mor­gen­däm­me­rung kom­me ich an, es ist die Stadt Paris gewe­sen, Gare de l’Est. Im Zug hat­te eine Frau von mons­trö­sen Aus­ma­ßen neben mir Platz genom­men, press­te mich gegen eine Wand des Abteils, ich konn­te kaum atmen, und wie ich den Bahn­hof ver­las­se, folgt sie mir. Ich gehe west­wärts Rich­tung Mont­par­nas­se. Plötz­lich sit­ze ich in einem Café, in dem alle Gegen­stän­de von Holz sind. Der Boden, die Wän­de, Stüh­le, Tische, auch die Tel­ler, Ser­vi­et­ten, Tas­sen und die Blu­men in ihren höl­zer­nen Gefä­ßen, das Was­ser der Vasen, der Kaf­fee, selbst die Frau, am Nach­bar­tisch, die sich freund­lich nach einer Ziga­ret­te erkun­digt, scheint zu grö­ße­ren Tei­len aus Holz zu bestehen, Hals, Stirn, Wan­gen, Arme und Hän­de, eines ihrer Augen. Auf dem Tisch vor mir sitzt eine Amei­se. Sie bewegt sich kaum. Ich weiß, dass sie zu mir gehört, ich habe sie gekauft. Der Mann, der mir die Amei­se ver­kauf­te, steht auf der Stra­ße vor dem Café und spricht mit jener Frau, die mir folgt. Er trägt einen Hut, eine Melo­ne, die Frau scheint wei­ter­hin zu wach­sen. Bei­de schau­en in mei­ne Rich­tung, sie lachen. Dann kommt der Mann zurück. Er schüt­tet eine Hand­voll Sul­ta­ni­nen auf den Tisch, sagt, dass ich die Früch­te in Schei­ben zer­le­gen sol­le, weil Amei­sen, gera­de die­se Amei­se, die zu mei­nem Eigen­tum gewor­den ist, Sul­ta­ni­nen bevor­zugt ver­zeh­ren wür­den. Das klei­ne Tier ist sehr kost­bar. Es ist eine Amei­se, die ihr Leben heim­lich mit Samu­el Beckett geteilt haben soll, ich habe das schrift­lich, eine Amei­se mit einem wun­der­vol­len Gehirn, sie ist sehr alt, ver­fügt über Ohren und spricht mit den Füh­lern. Ich weiß nicht, wie ich die Amei­se trans­por­tie­ren soll, des­halb wache ich auf und wun­de­re mich, weil ich kein Licht sehe. Aber ich spü­re die Schrit­te einer Amei­se auf mei­nem Bauch. Sie läuft kreuz und quer, bald sitzt sie unter­halb mei­nes lin­ken Auges. Das Tier scheint zu war­ten. — stop

polaroidglas

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ein leises pfeifen

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bamako : 2.25 — Eine kur­di­sche Freun­din ale­vi­ti­schen Glau­bens erzähl­te mir eine Geschich­te, die eigent­lich kei­ne Geschich­te ist, son­dern ein Bericht, weil sie per­sön­lich mehr­fach erle­ben muss­te, wie ihre Toch­ter eine Freun­din mit nach Hau­se brach­te, eine jun­ge Kur­din sun­ni­ti­schen Glau­bens, die zwar mit der Toch­ter Zeit ver­brin­gen, aber nicht mit der Fami­lie essen woll­te, weil sie fürch­te­te, viel­leicht ver­gif­tet zu wer­den. Ich beob­ach­te­te einen tie­fen Schmerz in den Augen mei­ner Freun­din, wäh­rend sie erzähl­te, und auch Zorn und Ent­täu­schung. Sie erklär­te: Das sind die Eltern, die ihre Kin­der imp­fen. Wir Ale­vi­ten sind gefähr­li­che Leu­te, ver­stehst Du, wir sind lebens­ge­fähr­li­che Leu­te. Ich fürch­te, das alles geht ein Leben lang nicht mehr aus den armen Kin­der­see­len raus! – Es ist jetzt 0 Uhr und 55 Minu­ten. Nicht wahr, das ist eine wirk­lich merk­wür­di­ge Bege­ben­heit, die ich in die­ser Nacht notie­re, um sie nicht zu ver­ges­sen. Über­haupt ver­ges­se ich zur­zeit recht viel. Vor eini­gen Tagen, wäh­rend ich mit einer wei­te­ren Freun­din tele­fo­nier­te, mach­te ich eine kur­ze Pau­se, um Kaf­fee zu kochen. Ich bat mei­ne Freun­din in der Lei­tung zu blei­ben und stand also in der Küche und erhitz­te das Was­ser, als eine Tau­be auf dem Fens­ter­brett lan­de­te. Immer, wenn ich eine Tau­be sehe, den­ke ich an Wolf­gang Koep­pen. Ich habe Wolf­gang Koep­pen ein­mal in Mün­chen in einem Kino beob­ach­tet, einen gebückt gehen­den, alten Mann mit Bril­le, der sich sehr lang­sam beweg­te. Nie­mand schien ihn erkannt zu haben, wor­über ich mich damals wun­der­te. Ich erin­ne­re mich genau, ich wun­der­te mich vie­le Tage lang und über­leg­te, ob ich Wolf­gang Koep­pen nicht einen Brief schrei­ben soll­te, um ihm zu erzäh­len, dass ich ihn gese­hen habe, im Kino und dass ich mich dar­über sehr freu­te. Plötz­lich hör­te ich vom Tisch her, auf dem mein Tele­fon lag, ein lei­ses Pfei­fen. Das Pfei­fen kam tat­säch­lich aus dem klei­nen Appa­rat her­aus. Als ich das Tele­fon anhob, wur­de das Pfei­fen lau­ter und lau­ter, und mei­ne Freun­din erzähl­te nur Sekun­den spä­ter, sie habe nicht mehr dar­an geglaubt, dass ich sie noch hören wür­de oder mich an sie erin­nern. Sie habe mei­ne Schrit­te deut­lich gehört, außer­dem soll ich mit mir selbst gespro­chen haben. – stop

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eine libelle

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hima­la­ya : 6.51 — Im Colum­bus Park sit­zen Män­ner im Kreis um einen Stein und spie­len mit Kar­ten, die ich noch nie zuvor gese­hen habe. Vom East River her, der nah ist, das Gespräch der Schif­fe. In den blatt­lo­sen Bäu­men kau­ern kal­te Vögel, äußerst lang­sam öff­nen und schlie­ßen sie ihre Augen, Häut­chen, hell wie von Milch. Ich bin auf dem Weg, Mr. Fefei in sei­ner Werk­statt Pell Street 8 zu besu­chen. Tra­ge die Uhr mei­nes Vaters in der rech­ten Hosen­ta­sche, hal­te sie fest, hal­te sie fest. In der Werk­statt ist es dun­kel. Eine alte Frau, tief gebückt, führt mich durch den schma­len Raum. Vor­sich­tig, sehr vor­sich­tig, als wür­de sie nie wie­der vom Boden kom­men, wenn sie ein­mal stür­zen soll­te, geht sie durch die sti­cki­ge Luft dahin. Ein Lun­gen­hum­mer kreuzt schep­pernd unse­ren Weg. Mr. Fefei sitzt hin­ter einer Werk­bank im Roll­stuhl, einem uralten Ding mit Rädern, die so groß sind wie der alte Mann selbst. Ich wer­de eine Vier­tel­stun­de in sei­ner Nähe ver­brin­gen, ich wer­de ihm erzäh­len von der Uhr mei­nes Vaters, dass sie nicht ste­hen geblie­ben ist, seit er starb, dass ich mir wünsch­te, sie wür­de nie­mals ste­hen blei­ben, die Zeit mei­nes Vaters. Wie, Mr. Fefei, wer­de ich fra­gen, könn­te es mög­lich sein, die Bat­te­rien der Uhr zu wech­seln, ohne sie anhal­ten zu müs­sen? Ich wer­de sehen, wie die zier­li­che Hand des alten Man­nes über den Tisch wan­dert, um nach der Uhr zu grei­fen, wie er die Uhr wie­gen und wie er sie betrach­ten wird, von allen Sei­ten her, wie er ein Hör­rohr an das Gehäu­se legen, wie er nicken, wie er lachen wird. Sei­ne Frau wird mir einen Tee ser­vie­ren, einen grü­nen Tee, einen sehr grü­nen damp­fen­den Tee, den ich sicher nicht ver­tra­gen und doch trin­ken wer­de, wäh­rend sich Mr. Fefei wie­der mit sei­ner Libel­le beschäf­tigt. Vor­sich­tig nähert er sich dem Gesicht des wil­den Tie­res, das zu einem zit­tern­den Röhr­chen gefes­selt vor ihm liegt, mit einer Pin­zet­te. Alles das wird gleich gesche­hen, in weni­gen Minu­ten ist wie­der Abend gewor­den. Alte Män­ner sit­zen im Kreis um einen Stein und spie­len Kar­ten, die ich noch nie gese­hen habe. Vom East River her, der nah ist, höre ich das Gespräch der Schif­fe. In den blatt­lo­sen Bäu­men kau­ern kal­te Vögel, äußerst lang­sam öff­nen und schlie­ßen sie ihre Augen, Häut­chen, hell wie von Milch. — stop

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elisabeth

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hima­la­ya : 6.10 — Im Win­ter des ver­gan­ge­nen Jah­res, an einem win­dig kal­ten Tag, besuch­te ich in Brook­lyn einen alten Herrn, Mr. Tomaszwes­ka und sei­ne Frau Eli­sa­beth. Sie woh­nen nahe der Clark Street in einem sechs­stö­cki­gen Haus mit Blick auf die Upper Bay von New York. Ich hat­te den alten Mann wäh­rend einer Fahrt auf einem Fähr­schiff zufäl­lig ken­nen­ge­lernt. Er beob­ach­te­te, wie ich Fahr­gäs­te foto­gra­fier­te, die ihre Namen heim­lich in die höl­zer­nen Sitz­bän­ke des Schif­fes ritz­ten. Er sprach mich freund­lich an, woll­te mir einen Schrift­zug zei­gen, den er selbst drei Jahr­zehn­te zuvor an Ort und Stel­le in der glei­chen Wei­se wie die beob­ach­te­ten Pas­sa­gie­re ein­ge­tra­gen hat­te. Stolz war der alte Mann gewe­sen. Wir führ­ten ein kur­zes Gespräch über die New Yor­ker Hafen­be­hör­de, Eisen­bah­nen und Flug­zeu­ge, weiß der Him­mel, wie dar­auf gekom­men waren. Als wir das Schiff ver­lie­ßen, lud Mr. Tomaszwes­ka mich ein, ein­mal zu ihm zu kom­men, dar­um stieg ich nur weni­ge Tage spä­ter in den sechs­ten Stock des schma­len Hau­ses auf den Höhen Brook­lyns. Die Tür zur Woh­nung stand offen, war­me Luft kam mir ent­ge­gen, die nach süßem Teig duf­te­te, nach Zimt und Früch­ten. Die Räu­me hin­ter der Tür waren ver­dun­kelt. Ich hat­te sogleich den Ein­druck, dass ich viel­leicht träum­te oder ver­rückt gewor­den sein könn­te, weil in die­sem Halb­dun­kel an den Wän­den, auch auf dem Boden, Lam­pen, Dioden­lich­ter, glüh­ten. Modell­ei­sen­bahn­zü­ge fuh­ren auf schma­len Gelei­sen her­um. Ich höre noch jetzt das lei­se Pfei­fen einer Dampf­lo­ko­mo­ti­ve, das mei­nen Besuch beglei­te­te. Es war eine rasen­de Zeit, Stun­den des Stau­nens, da in der Woh­nung des alten Herrn eine sehr beson­de­re Modell­an­la­ge gas­tier­te, ja, ich soll­te sagen, dass die Woh­nung selbst zur Anla­ge gehör­te, wie der Him­mel zur wirk­li­chen Welt. Alle Züge fuh­ren auto­ma­tisch von einem Com­pu­ter gesteu­ert, die Luft über den Gelei­sen roch scharf nach Zinn. Wir spra­chen indes­sen nicht viel, Mr. Tomaszwes­ka und ich, son­dern schau­ten dem Leben auf dem Boden in aller Stil­le zu. An einem Fens­ter, des­sen Vor­hän­ge zuge­zo­gen waren, saß Mr. Tomaszweska’s Frau Eli­sa­beth. Sie beach­te­te mich nicht, starr­te viel­mehr lächelnd auf eine klei­ne Klap­pe, die in die Wand des Hau­ses ein­ge­las­sen war. Manch­mal öff­ne­te sich die Klap­pe und ich konn­te für Momen­te das Meer erken­nen, das an die­sem Tag von grün­grau­er Far­be gewe­sen war, wun­der­ba­re Augen­bli­cke, denn immer dann, wenn das Meer in dem klei­nen Fens­ter erschien, lach­te die alte Frau mit glo­cken­hel­ler Stim­me auf, um kurz dar­auf wie­der zu erstar­ren. Ein­mal setz­te sich Mr. Tomaszwes­ka neben sei­ne Frau und füt­ter­te sie mit war­mem Oran­gen­ku­chen, den er selbst geba­cken hat­te. Und wie wir uns wie­der auf den Boden setz­ten, um ein Modell des Ori­ent­ex­press durch die Zim­mer der Woh­nung krei­sen zu sehen, erzählt der alte Mann, dass sie gemein­sam hier oben sehr glück­lich sei­en. Er kön­ne mit sei­ner Frau zwar nicht mehr spre­chen, er kön­ne sie nur noch strei­cheln, was sie irgend­wie ver­ste­hen wür­de oder sich erin­nern an die Spra­che sei­ner Hän­de. Ver­stehst Du, sag­te er, sie ver­gisst immer sofort, alles ver­gisst sie, auch wer ich bin, aber sie ver­gisst nie­mals nach den klei­nen Engeln zu sehen, die uns besu­chen, sie kom­men dort durch die Klap­pe, siehst Du, schau genau hin, es ist schon ein Wun­der, sag­te der alte Mann, wie schön sie lacht, mein jun­ges Mäd­chen, nicht wahr, mein jun­ges Mäd­chen. — stop

polaroidstrandburg

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javier

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alpha

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : JAVIER IAN
date : april 1 13 10.12 p.m.

Nach wie vor bewegt sich Fran­kie sehr lang­sam den Hud­son River ent­lang. Es geht nur weni­ge hun­dert Meter am Tag vor­an. Fran­kie, als ob er ein Ziel ver­folg­te, kennt nur eine Rich­tung: süd­wärts. Der Ver­kehr auf der 12th Ave­nue ist grau­en­voll gefähr­lich bei Tag und bei Nacht. In den ers­ten Stun­den, da das Eich­hörn­chen den Cen­tral Park ver­las­sen hat­te, moch­ten wir kaum glau­ben, dass es über­le­ben wür­de. Aber er ist schnell und er scheint zu wis­sen, dass ihm die Stra­ßen der Stadt zum Ver­häng­nis wer­den könn­ten. Wir bemü­hen uns Fran­kie zu schüt­zen, wo und wie auch immer wir kön­nen. Erfolg­los haben wir nahe Man­hat­tan Crui­se Ter­mi­nal einen Hot­dog-Ver­käu­fer gebe­ten, Fran­kie nicht wei­ter zu füt­tern. Wir wis­sen jetzt, dass er Gur­ken­schei­ben und Zwie­beln bevor­zugt. Von Mit­te Febru­ar bis in die ers­te März­wo­che hin­ein war kaum eine Bewe­gung Fran­kies zu ver­zeich­nen gewe­sen. Wir haben sein Ver­hal­ten zunächst mit den groß­zü­gi­gen Spen­den des alten Man­nes aus Puer­to Rico begrün­det. Als aber Javier Ian eini­ge Tage mit sei­nem fah­ren­den Stand nicht erschie­nen war, bemerk­ten wir, dass Fran­kie Kreuz­fahrt­schif­fe beob­ach­te­te. Es waren die MS Aida, die MS Car­ni­val Mira­cle, die MS Free­dom of the Seas, die pracht­voll beleuch­tet an den Piers fest­ge­macht hat­ten. Fran­kie hock­te auf einer jun­gen Eibe, immer auf dem­sel­ben Ast, Stun­de um Stun­de. Es ist nicht mög­lich zu ver­ste­hen, was ihn an dem Blick auf den Fluss und auf die rie­si­gen Schif­fe fes­sel­te, er schien kaum zu schla­fen und er dul­de­te uns in sei­ner Nähe, wir kamen so nah an ihn her­an, dass wir ihn bei­na­he zu berüh­ren ver­moch­ten. Am 6. März brach Fran­kie wie­der auf. Er schien nach uns zu sehen, ob wir ihm fol­gen. Und tat­säch­lich war­te­te er, wenn wir uns zur Pro­be ver­steck­ten in einer der Stra­ßen, die zum Fluss füh­ren. Die Näch­te sind nach wie vor kalt, aber ohne Frost. Unser Fran­kie ist kräf­tig, ist stark über den Win­ter gekom­men. Wir befin­den uns Höhe 41. Stra­ße. Es ist Mon­tag, der 1. April 2013, frü­her Abend. — Aller­bes­te Grü­ße sen­det Mal­colm / code­wort : medusenkopfauge

emp­fan­gen am
1.04.2013
2034 zeichen

mal­colm to louis »

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