Aus der Wörtersammlung: etwas

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aleppo

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hima­la­ya : 0.02 — Viel­leicht darf ich fol­gen­den Bericht in vol­ler Län­ge wie­der­ge­ben. Der jun­ge Jour­na­list Zou­hir al Shim­le berich­tet via E‑Mail für Die Zeit: Seit Alep­po bela­gert ist, flie­gen Assads Trup­pen und sei­ne Ver­bün­de­ten jeden Tag Luft­schlä­ge auf die Vier­tel der Rebel­len, also auch dort, wo ich lebe. Unun­ter­bro­chen dröh­nen Kampf­jets über uns hin­weg, Heli­ko­pter krei­sen über den Häu­sern. Jeden Tag ster­ben hier fast fünf­zig Zivi­lis­ten. Wir leben in einem nie enden­den Getö­se von Schie­ße­rei­en, Explo­sio­nen, Geschrei. Die meis­ten von uns trau­en sich nicht mehr, nach drau­ßen zu gehen. Manch­mal het­zen ein paar Leu­te die Stra­ßen ent­lang, um Lebens­mit­tel zu besor­gen – und ren­nen sofort nach dem Ein­kauf zurück in ihre Woh­nun­gen. Dabei ist es zu Hau­se nicht siche­rer als auf der Stra­ße. Denn die Bom­ben tref­fen auch unse­re Häu­ser. Wäh­rend ich die­se Zei­len schrei­be, höre ich das Don­nern der Kampf­flug­zeu­ge, von irgend­wo her dringt Gefechts­lärm. Gott sei Dank habe ich bis­her alle Angrif­fe über­lebt. Aber vor ein paar Tagen war ich dem Tod so nah wie nie zuvor. Ich war im Vier­tel Al-Mash­had unter­wegs, dort, wo mein Büro ist. Ich stand gera­de im Laden in unse­rer Stra­ße, um mir etwas zu trin­ken zu kau­fen, als die ers­te Fass­bom­be ein­schlug, gera­de mal fünf Häu­ser von uns ent­fernt. Ich duck­te mich für eini­ge Sekun­den vor den umher­flie­gen­den Metall­tei­len. Dann rann­te ich raus auf die Stra­ße. Nur weni­ge Sekun­den spä­ter schlug in der Stra­ße die zwei­te Fass­bom­be ein. Ein Metall­split­ter bohr­te sich in mei­nen Rücken, ein ande­rer in mein Bein. Ich rann­te von der Stra­ße wie­der zurück zum Laden. Und war vor Schock wie gelähmt: Sie­ben Men­schen, die dort Schutz vor der zwei­ten Bom­be gesucht hat­ten, waren tot, zer­quetscht vom Schutt der ein­ge­stürz­ten Decke. Sie star­ben nur, weil sie sich in den Sekun­den der Explo­si­on anders ent­schie­den hat­ten: Sie hiel­ten sich zwi­schen den Rega­len ver­steckt, wäh­rend ich auf die Stra­ße lief. Nur des­we­gen habe ich als Ein­zi­ger von uns über­lebt. Die Hel­fer hat­ten gro­ße Mühe, die ver­dreh­ten und durch­trenn­ten Kör­per aus dem Geröll zu zie­hen. Ange­hö­ri­ge der Toten lagen am Boden und schrien, Kin­der wein­ten. Aus eini­gen Kör­pern quol­len Inne­rei­en, über­all lagen abge­trenn­te Hän­de und Bei­ne. Ins­ge­samt star­ben durch die­se Angrif­fe 15 Men­schen, 25 – mit mir – wur­den ver­letzt. Ich kann die­se Bil­der nicht ver­ges­sen. Ich hät­te einer die­ser Kör­per sein kön­nen. Ich wur­de schnell in ein Kran­ken­haus gebracht, doch hel­fen konn­te mir dort nie­mand. Zu vie­le Men­schen benö­tig­ten Hil­fe, unauf­hör­lich brach­ten Män­ner neue Tra­gen mit Schwer­ver­letz­ten hin­ein. Wäh­rend ich auf den Arzt war­te­te, sah ich so viel Blut, dass ich zu hal­lu­zi­nie­ren begann. Ein Freund brach­te mich des­halb in ein ande­res Kran­ken­haus, wo sich Schwes­tern um mich küm­mer­ten. Sie ent­fern­ten einen Metall­split­ter, der ande­re steckt noch in mei­nem Bein. Sie sagen, er kön­ne erst in eini­ger Zeit ent­fernt wer­den. Doch es sind nicht nur die Bom­ben und Gefech­te, die unser Über­le­ben immer schwe­rer machen. Das Regime hat nun auch die Cas­tel­lo-Stra­ße ein­ge­nom­men. Sie ist eine Todes­zo­ne gewor­den: Stän­dig wird geschos­sen, bren­nen­de Autos lie­gen am Stra­ßen­rand. Das Regime kämpft dort mit aller Macht – und schnei­det uns damit von der Außen­welt ab. Die Cas­tel­lo-Stra­ße war bis­lang die ein­zi­ge Ver­bin­dung von Alep­po nach drau­ßen, in die Vor­or­te und in die Tür­kei. Es war die Lebens­ader der Stadt, von dort haben wir Lebens­mit­tel, Gas, Brenn­stoff, Trink­was­ser und Medi­zin bekom­men.  Die Bela­ge­rung ist für uns dra­ma­tisch. Denn jetzt gibt es kaum noch Obst und Gemü­se zu kau­fen, über­haupt sind die Märk­te fast leer. Auch haben wir immer weni­ger Brenn­stoff, wir ver­brau­chen gera­de die letz­ten Reser­ven der Stadt. Bald schon wer­den wir in kom­plet­ter Dun­kel­heit leben. Das ist es, was das Regime und sei­ne Mili­zen wol­len: dass Alep­po lang­sam stirbt. Sie set­zen dabei allein auf die Zeit. Wir, die noch rund 300.000 Ver­blie­be­nen, wer­den nicht mehr lan­ge ver­sorgt wer­den kön­nen. Ich fürch­te, dass unser Unter­gang schließ­lich dadurch kommt, dass wir alle um Was­ser und Brot kämp­fen. Und dass die, die nicht mehr stark genug sind, dar­um zu kämp­fen, ein­fach ver­hun­gern wer­den. Fakt ist: Wir sit­zen fest. Wir haben kei­ne Chan­ce mehr, aus Ost-Alep­po her­aus­zu­kom­men. Ich habe immer mit drei Freun­den in einer WG zusam­men gewohnt. Jetzt ist nur noch einer von ihnen hier. Malek hat gehei­ra­tet und lebt nun mit sei­ner Frau zusam­men, sie erwar­ten ein Baby. Der ande­re, Jawad, konn­te in die Tür­kei ent­kom­men. Sein Vater wur­de bei einem Angriff schwer ver­letzt und Jawad konn­te mit ihm vor ein paar Wochen in die Tür­kei fah­ren, damit er dort medi­zi­ni­sche Hil­fe bekommt. Jawad ver­sucht, wie­der zu stu­die­ren. Er wird nicht mehr nach Alep­po zurück­kom­men. So zynisch es klingt: Er hat Glück gehabt. Denn nur sehr kran­ke Men­schen dür­fen mit einer Beglei­tung den Grenz­über­gang Bab al-Sal­a­meh in die Tür­kei pas­sie­ren. Die Tür­kei ist da sehr strikt. Für mich gilt das also nicht Selbst, wenn ich Alep­po ver­las­sen woll­te: Ich kann es nicht. Die Bom­bar­die­run­gen in der Stadt sind zu stark, ich wür­de nicht mehr weit kom­men. Ich weiß, dass ich hier nicht mehr weg­kom­men wer­de. Die Bom­ben fal­len wei­ter, jeden Tag, jede Stun­de. Sie tref­fen alles, was sich bewegt. Ich sit­ze in Alep­po fest. Aber noch bin ich am Leben. — stop
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von hinten oder von der seite her

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echo : 2.12 — Ich dach­te ges­tern noch, dass ich den Faden einer Geschich­te mit Möwe, die mich kürz­lich auf einem Fähr­schiff besuch­te, ver­mut­lich so nie wie­der erle­ben wer­de. Trotz­dem beach­te­te ich in den dar­auf­fol­gen­den Tagen die Erschei­nun­gen der Möwen, wel­che auf dem Dach des alten Hau­ses saßen. Etwas war anders gewor­den. Ich hat­te bemerkt, dass es sich bei dem alten Haus um ein Hotel han­del­te. Ich kann­te nun den Namen des Hotels, obwohl ich nie dort gewe­sen war, ich hat­te das Gebäu­de in der digi­ta­len Sphä­re iden­ti­fi­ziert. Tage ver­ge­hen. Plötz­lich sit­ze ich in einem Zug. Es ist spät, dun­kel drau­ßen, Men­schen in mei­ner Nähe schla­fen, von Zeit zu Zeit tau­chen Lich­ter einer Stadt oder eines Dor­fes aus der Licht­lo­sig­keit. Ich beob­ach­te einen Film auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Es geht schön laut zu in dem Film, ich tra­ge Kopf­hö­rer, und ich den­ke, wenn ich nun in ein Atten­tat gera­ten wür­de, ich wür­de mög­li­cher­wei­se das Atten­tat nicht bemer­ken, solan­ge nicht bemer­ken, bis mir jemand von hin­ten oder von der Sei­te her in den Kopf schießt, auch das wür­de ich even­tu­ell nicht bemer­ken. — stop

josephine

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von libellen : von zikaden

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oli­mam­bo : 0.02 — Dass ich gut den­ken und erfin­den kann, sobald ich Libel­len beob­ach­te oder von Libel­len beob­ach­tet wer­de, habe ich vor Jah­ren bereits bemerkt. Das ist mög­li­cher­wei­se so, weil Libel­len sich in der Art und Wei­se der Gedan­ken selbst bewe­gen. Sie schei­nen lan­ge Zeit still in der Luft zu ste­hen und sind doch am Leben, was man dar­an erken­nen kann, dass sie nicht zu Boden fal­len. Etwas Zeit ver­geht, wie immer. Und plötz­lich haben sich die fei­nen Libel­len­raub­tie­re wei­ter­be­wegt. Sie sind von einer Sekun­de zur nächs­ten Sekun­de an einem ande­ren Ort ange­kom­men. Genau so scheint es mit Gedan­ken zu sein. Sie sprin­gen wei­ter und machen neue Gedan­ken, ohne dass der Weg von da nach dort sicht­bar oder spür­bar gewor­den wäre. Irgend­je­mand müss­te sofort Libel­len erfin­den, die Geräu­sche der Zika­den erzeu­gen, dann wär ich zufrie­den. — stop

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eine geschichte von büchern

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nord­pol : 4.02 — B. erzähl­te ges­tern, war­um sie ihren Lieb­ha­ber M. nun wirk­lich zum letz­ten Mal aus ihrer Woh­nung gewor­fen habe. Sie sei, sag­te sie, ihrem jun­gen Freund noch immer sehr ver­bun­den, aber es sei eben auch so, dass sie gelernt habe, nie­mals vor­her­sa­gen zu kön­nen, was M. Ver­rück­tes in der nächs­ten oder über­nächs­ten Stun­de unter­neh­men wür­de. Ein­mal habe er sich auf eine Stra­ße gelegt, um Kin­dern, die ihn beob­ach­te­ten, vor­zu­füh­ren, was gesche­hen wür­de, wenn sie bei Rot über die Stra­ße gin­gen. Er sei dann bald selbst über­fah­ren wor­den, nur weil die Kin­der win­kend auf der Stra­ße einem sich nähern­den Bus ent­ge­gen­ge­lau­fen sei­en, war er ver­mut­lich am Leben geblie­ben. Wie­der­holt, sie­ben oder acht Male, sei er außer­dem in das Klas­sen­zim­mer, in dem B. gera­de unter­rich­te­te, ein­ge­drun­gen, um ihr, mit Rosen bewaff­net, je einen Hei­rats­an­trag zu eröff­nen. Ein­mal, das wer­de sie nie­mals ver­ges­sen, sei M. wäh­rend einer Film­vor­füh­rung im Metro­po­lis-Kino auf­ge­sprun­gen und habe dar­um gebe­ten, den Film sofort anzu­hal­ten, zurück­zu­spu­len und lang­sam wie­der vor­wärts­lau­fen zu las­sen, da er etwas Beson­de­res beob­ach­tet haben woll­te, er sei sich aber nicht sicher gewe­sen, er müss­te das über­prü­fen. Nun also habe sich M. an ihrer, B.’s, Biblio­thek ver­grif­fen. Zwei­tau­send Bücher, sorg­fäl­tigst sor­tiert, Phi­lo­so­phie, Kunst, Rei­se, Dich­tung, ein Sys­tem, in dem sie sofort jedes gesuch­te Buch noch im Traum fin­den konn­te. Auch wenn er in guter Absicht gehan­delt haben moch­te, an einem Vor­mit­tag, da sie unter­rich­te­te, habe M. ihre Biblio­thek voll­kom­men neu orga­ni­siert, er habe ihre Bücher sowohl der Grö­ße, als auch der Far­be ihrer Buch­rü­cken nach in die Rega­le ein­sor­tiert, noch schlim­mer sei gewe­sen, dass er sich ihre Empö­rung nicht erklä­ren konn­te. Sie habe ihn in die Arme genom­men, und dann habe sie ihn behut­sam auf den Geh­steig vor ihr Haus gestellt. — stop
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im nachtexpress

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MELDUNG. In einem Groß­raum­wa­gon des Nacht­ex­pres­ses Mozart von Mün­chen ( Flug­ha­fen ) nach Wien ( Haupt­bahn­hof ) sind gegen Mit­ter­nacht auf­grund ver­se­hent­li­cher Ent­fal­tung eines 2‑Sekundenzeltes drei tas­ma­ni­sche Sing­zi­ka­den ( Cica­di­dae ), 22 aus­tra­li­sche Kno­ten­amei­sen ( rot / Myr­micinae ) sowie ein Dorn­teu­fel­chen ( 25 Gramm ) in die Frei­heit ent­wi­chen. Noch etwas Wei­te­res war flüch­tig, das knurr­te, ehe es ver­stumm­te. — stop

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zwitschern

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kili­man­dscha­ro : 2.02 — Beim Ohren­arzt tre­te ich durch eine schma­le Tür in einen Saal. Vögel flie­gen her­um, sie piep­sen und pfei­fen, dass es eine wah­re Freu­de ist. Da sind Rot­kehl­chen, Sper­lin­ge, Tiger­wald­sän­ger, Sei­den­schwän­ze, Ammern, Tanga­ren, Schwanz­mei­sen, woher ich nur die­se wun­der­ba­ren Namen habe? Zwei Fin­ken lan­den auf mei­nem Kopf, sie sin­gen nicht nur, sie spre­chen, sie sagen: Sie sind zu spät, haben Sie bit­te etwas Geduld! Im Saal lie­gen zwan­zig oder drei­ßig Men­schen in Bade­wan­nen, ande­re sit­zen auf Stüh­len, tra­gen irgend­wel­che blin­ken­den Käfi­ge über dem Kopf. Grad als ich mich hei­misch füh­le, bemer­ke ich einen Korb, in dem mensch­li­che Ohren lie­gen, das war nahe der Jor­al­e­mon Street. Ich sit­ze bald auf einer Bank mit Blick auf die Upper New York Bay. Es ist frü­her Abend. Wol­ken­lo­ser Him­mel. Noch immer kann ich nicht sagen, ob ich wirk­lich wach bin. — stop
propeller

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leon grog abends

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echo : 2.55 — Am Flug­ha­fen, in einem War­te­saal unter dem Ter­mi­nal 1, hock­te ein älte­rer Mann am spä­ten Abend auf einer Bank. Neben ihm stand eine Fla­sche Milch auf dem Boden, sowie eine klei­ne, arg ram­po­nier­te Leder­ta­sche, die man frü­her viel­leicht ein­mal über die Schul­ter hän­gen konn­te, aber der Rie­men der Tasche war vom lan­gen Tra­gen zer­schlis­sen, bau­mel­te zu Tei­len von den Sei­ten der Tasche, die leicht geöff­net war, sodass ein Blick mög­lich wur­de auf einen Sta­pel von Luft­post­brie­fen, die sich in die Tasche füg­ten, als wären sie genau für die­se Tasche gefer­tigt oder aber die Tasche für genau die­se Samm­lung schein­bar weit gereis­ter Brie­fe. Sie waren viel­fach geöff­net wor­den, viel­leicht gele­sen, das war deut­lich zu erken­nen. Einen der Brie­fe hielt der Mann gera­de in dem Moment, da ich ihn auf der Bank bemerk­te, an sein Ohr, er schien zu lau­schen. Sei­ne Augen hat­te er geschlos­sen, er wirk­te kon­zen­triert, ja andäch­tig. Als ich von dem alten Mann in die­ser Hal­tung eine Foto­gra­fie mit mei­nem Tele­fon­ap­pa­rat machen woll­te, sah er mich plötz­lich an und hob in einer reflex­ar­ti­gen Bewe­gung den Brief in die Höhe, sodass sein Gesicht nun bei­na­he ganz ver­deckt war. Da ging ich wei­ter, um nicht zu stö­ren, aber der Mann rief mir zu: War­ten sie, set­zen sie sich! Er über­reich­te mir den Brief, mit dem er kurz zuvor noch sein Gesicht mas­kiert hat­te, und for­der­te mich auf, das Kuvert an mein Ohr zu hal­ten. Der Brief knis­ter­te, als ich ihn in mei­ne Hän­de nahm. Auf der Anschrift­sei­te des Brie­fes war mit fei­nen Zei­chen fol­gen­der Schrift­zug auf­ge­tra­gen: Leon Grog, Av. Rovis­co, 26, Lis­boa. Der Mann lach­te und deu­te­te auf sich selbst: Das bin ich, sag­te er, Leon. Er wies mit einer groß­zü­gi­gen Ges­te auf eine Brief­mar­ke hin, die akku­rat am rech­ten obe­ren Rand des Brie­fes befes­tigt wur­de, ein Stück Him­mel war zu erken­nen von hel­lem Blau, und ein blit­zen­des Flug­zeug, eine Cara­vel­le, die soeben zu star­ten schien. Als ich selbst die Brief­mar­ke an mein Ohr leg­te, hör­te ich ein hel­les Rau­schen, ich hör­te die Moto­ren des Flug­zeu­ges und schloss die Augen, wie der Herr zuvor sei­ne Augen geschlos­sen hat­te. Als ich sie wie­der öff­ne­te, bemer­ke ich einen wei­te­ren Brief, der gleich­falls an Herrn Leon Grog adres­siert wor­den war, wie­der­um nach Lis­sa­bon, wäh­rend der ers­te Brief aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten gesen­det wor­den war, kam die­ser hier von Kolum­bi­en her, eine Brief­mar­ke zeig­te etwas Regen­wald und einen Nas­horn­vo­gel von präch­ti­gem Gefie­der. — stop

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lydia

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echo : 0.01 — In der Stra­ßen­bahn tref­fe ich eine jun­ge Dame. Ich erken­ne sie zunächst nicht, aber als sie mich grüßt, erin­ne­re ich eine Begeg­nung vor vie­len Jah­ren an der­sel­ben Stel­le, in einer Stra­ßen­bahn. Aus dem klei­nen Mäd­chen, das mich mit einer Bemer­kung für den Rest mei­nes Lebens rühr­te, ist tat­säch­lich eine jun­ge Frau gewor­den. Sie sagt, sie habe unser Gespräch, das wir führ­ten, nie ver­ges­sen, es han­del­te von ihren Ohren, von einem Gedan­ken, der mir zu erklä­ren such­te, wes­we­gen ihre Ohren etwas grö­ßer sei­en als die Ohren ihrer bes­ten Freun­din. Das wäre näm­lich so, dass ihre Ohren des­halb grö­ßer sei­en, weil sie viel weni­ger spre­chen wür­de als ihre Freun­din übli­cher­weise. Sie könn­te, sag­te sie damals, mit ihren Ohren sogar ihre eige­ne Stim­me hören, obwohl sie gar nichts sage. Zum Glück haben mei­ne Ohren inzwi­schen auf­ge­hört zu wach­sen, ich könn­te sonst mit ihnen her­um­flie­gen, dann hät­ten Sie mich ver­mut­lich nie wie­der­ge­se­hen. Sie lacht jetzt sehr fröh­lich. Drau­ßen fällt gera­de viel Was­ser vom Him­mel. — stop

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brighton beach ave

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nord­pol

~ : louis
to : mrs. valen­ti­na zeiler
brook­lyn trans­la­ti­on services
23 brigh­ton beach ave,
Brooklyn
sub­ject : BRYANT PARK

Sehr geehr­te Frau Zei­ler, ich dan­ke Ihnen herz­lich für Ihre rasche Ant­wort. Ich will nun abschlie­ßend den Auf­trag ertei­len, mein unten fol­gen­des Schrei­ben in die eng­li­sche Spra­che zu über­set­zen. Ich bit­te um sorg­fäl­tigs­te Arbeit, Sie wer­den erken­nen, in die­sem Text ist von einem Rei­se­tun­nel nach Ame­ri­ka die Rede, der in mei­ner Vor­stel­lung von äußers­ter Bedeu­tung ist, ein poe­ti­scher Ent­wurf, jedes Wort scheint mir für sei­ne Ver­wirk­li­chung von hoher Bedeu­tung zu sein. Mit ver­ein­bar­ter Ver­gü­tung bin ich ein­ver­stan­den, der Betrag von 82 Dol­lar wur­de bereits ange­wie­sen. Wei­te­re Auf­trä­ge wer­de ich mit Ihnen in Kür­ze bei einem Besuch in ihrem Büro per­sön­lich bespre­chen. Darf ich an die­ser Stel­le mei­ner Ver­wun­de­rung dar­über Aus­druck geben, dass die Über­set­zung des­sel­ben Tex­tes in die chi­ne­si­sche Spra­che 122 Dol­lar kos­ten wür­de? Ich fra­ge mich, wor­in die erheb­li­che Dif­fe­renz von 40 Dol­lar begrün­det sein könn­te. Mit aller­bes­ten Grü­ßen – Ihr Louis

BRYANT PARK — 570 WÖRTER > GO /// Es hat­te Stun­den lang gereg­net, jetzt dampf­te der Boden im süd­wärts vor­rü­cken­den Nord­licht, und das Laub, das alles bedeck­te, die stei­ner­nen Bän­ke, Brun­nen und Skulp­tu­ren, die Büsche und Som­mer­stüh­le der Cafés, beweg­te sich trock­nend wie eine abge­wor­fe­ne Haut, die nicht zur Ruhe kom­men konn­te. Boule­spie­ler waren vom Him­mel gefal­len, feg­ten ihr Spiel­feld, schon war das Kli­cken der Kugeln zu hören, Schrit­te, Rufe. Wie ich so zu den Spie­lern schlen­der­te, kreuz­te eine jun­ge Frau mei­nen Weg. Sie tas­te­te sich lang­sam vor­wärts an einem wei­ßen, sehr lan­gen Stock, den ich ein­ge­hend beob­ach­te­te, rasche, den Boden abklop­fen­de Bewe­gun­gen. Als sie in mei­ne Nähe gekom­men war, viel­leicht hat­te sie das Geräusch mei­ner Schrit­te gehört, sprach sie mich an, frag­te, ob es bald wie­der reg­nen wür­de. Ich erin­ne­re mich noch gut, zunächst sehr unsi­cher gewe­sen zu sein, aber dann ging ich ein Stück an ihrer Sei­te und berich­te­te vom Okto­ber­licht, das ich so lieb­te, von den Far­ben der Blät­ter, die unter unse­ren Füßen raschel­ten. Bald saßen wir auf einer nas­sen Bank, und die jun­ge Frau erzähl­te, dass sie ein klei­nes Pro­blem haben wür­de, dass sie einen Brief erhal­ten habe, einen lang erwar­te­ten, einen ersehn­ten Brief, und dass sie die­sen Brief nicht lesen kön­ne, ein Mann mit Augen­licht hät­te ihn geschrie­ben, ob ich ihr den Brief bit­te vor­le­sen wür­de, sie sei so sehr glück­lich, die­sen Brief end­lich in Hän­den zu hal­ten. Ich öff­ne­te also den Brief, einen Luft­post­brief, aber da stan­den nur weni­ge, sehr har­te Wor­te, ein Ende in sechs Zei­len, Druck­buch­sta­ben, eine schlam­pi­ge Arbeit, rasch hin­ge­wor­fen, und obwohl ich wuss­te, dass ich etwas tat, das ich nicht tun durf­te, erzähl­te mei­ne Stim­me, die vor­gab zu lesen, eine ganz ande­re Geschich­te. Liebs­te Mar­len, hör­te ich mich sagen, liebs­te Mar­len, wie sehr ich Dich doch ver­mis­se. Konn­te so lan­ge Zeit nicht schrei­ben, weil ich Dei­ne Adres­se ver­lo­ren hat­te, aber nun schrei­be ich Dir, schrei­be Dir aus unse­rem Café am Bryant Park. Es ist gera­de Abend gewor­den in New York und sicher wirst Du schon schla­fen. Erin­nerst Du Dich an die Nacht, als wir hier in unse­rem Café Dei­nen Geburts­tag fei­er­ten? Ich erzähl­te Dir von einer klei­nen, dunk­len Stel­le hin­ter der Tape­te, die so rot ist, dass ich Dir nicht erklä­ren konn­te, was das bedeu­tet, die­ses Rot für sehen­de Men­schen? Erin­nerst Du Dich, wie Du mit Dei­nen Hän­den nach jener Stel­le such­test, wie ich Dei­ne Fin­ger führ­te, wie ich Dir erzähl­te, dass dort hin­ter der Tape­te, ein Tun­nel endet, der Euro­pa mit Ame­ri­ka ver­bin­det? Und wie Du ein Ohr an die Wand leg­test, wie Du lausch­test, erin­nerst Du Dich? Lan­ge Zeit hast Du gelauscht. Ich höre etwas, sag­test Du, und woll­test wis­sen, wie lan­ge Zeit die Stim­men wohl unter dem atlan­ti­schen Boden reis­ten, bis sie Dich errei­chen konn­ten. – An die­ser Stel­le mei­ner klei­nen Erzäh­lung unter­brach mich die jun­ge Frau. Sie hat­te ihren Kopf zur Sei­te geneigt, lächel­te mich an und flüs­ter­te, dass das eine schö­ne Geschich­te gewe­sen sei, eine tröst­li­che Geschich­te, ich soll­te den Brief ruhig behal­ten und mit ihm machen, was immer ich woll­te. Und da war nun das aus dem Boden kom­men­de Nord­licht, das Knis­tern der Blät­ter, die Stim­men der spie­len­den Men­schen. Wir gin­gen noch eine klei­ne Stre­cke neben­ein­an­der her, ohne zu spre­chen. Ich sehe gera­de ihren über das Laub tas­ten­den Stock und ein Eich­hörn­chen mit einer Nuss im Maul, das an einem Baum­stamm kau­er­te. Bei­na­he kommt es mir in die­ser Sekun­de so vor, als hät­te ich die­ses Eich­hörn­chen und sei­ne Nuss nur erfun­den. /// END

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von marienkäfern und wodka

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tan­go : 2.00 — Vor drei Wochen ent­deck­te ich in einem Mün­che­ner Anti­qua­ri­at ein schwe­res Notiz­buch DIN A3, in wel­ches ein Mann, der für eini­ge Mona­te in einem Berg­wald leb­te, mit win­zi­gen Schrift­zei­chen Beob­ach­tun­gen, Erleb­nis­se, Gedan­ken ver­zeich­ne­te. Es muss zur Som­mer­zeit gewe­sen sein, das Jahr der Auf­zeich­nun­gen wur­de nicht ver­merkt, auch nicht der vol­le Name des Man­nes, nur sein Vor­na­me, der war Lud­wig. Das Doku­ment umfasst bei­na­he sie­ben­hun­dert Sei­ten, es scheint mehr­fach feucht gewor­den zu sein, da und dort sind zwi­schen den Blät­tern getrock­ne­te Wie­sen­blu­men zu fin­den, die mit­tels des Buch­ge­wich­tes prä­pa­riert wor­den waren, auch habe ich meh­re­re Amei­sen voll­kom­men leb­los auf­ge­fun­den, sowie Mari­en­kä­fer, die den Anschein erweck­ten, als wür­den sie gera­de noch ver­sucht haben, auf und davon­zu­flie­gen, als sie von einer Buch­sei­te, die umge­blät­tert wur­de, gefan­gen genom­men wur­den. Was war es gewe­sen, das den Mann in den Wald lock­te? Viel­leicht die Stil­le und das wun­der­ba­re Licht der Höhe? An einem Juli­tag, es war der 5., fol­gen­der Ein­trag: Höhe 1258 m. Kein Wind, kei­ne Wol­ke am Him­mel. Ich sit­ze und beob­ach­te Scha­fe, wie sie unter mir über eine Wie­se spa­zie­ren. Wun­der­ba­re Geräu­sche der klei­nen Hals­glo­cken. Zum Wod­ka ist mir heu­te Mor­gen ein­ge­fal­len, dass Men­schen exis­tie­ren, die Wod­ka bevor­zugt in Mine­ral­was­ser­fla­schen fül­len. Es han­delt sich hier­bei um einen Vor­gang der Ver­klei­dung oder des Ver­heim­li­chens. Der Wod­ka ist ver­steckt, obwohl er sicht­bar ist. Das eigent­li­che Ver­steck ist die Metho­de der Behaup­tung, etwas ande­res zu sein. Ähn­lich ver­hält es sich mit Mix­tu­ren, die übli­cher­wei­se an Arbeits­plät­zen zur Anwen­dung kom­men. Eine Ther­mos­kan­ne ist Auf­ent­halts­ort einer guten Begrün­dung, die­se Begrün­dung besteht aus der Flüs­sig­keit des Kaf­fees. In die­se Begrün­dung ist das Eigent­li­che, der Cognac, ein­ge­wi­ckelt. — stop

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